Entlang des Rheins entwickelte sich im Hochmittelalter eine der zentralen Kulturlandschaften Europas. Insbesondere die Städte Mainz, Worms und Speyer steigen schnell zu den wichtigsten Städten des Heiligen Römischen Reichs auf und besitzen damit weitreichende soziale und kulturelle Bedeutung. So erhielt Worms bereits 1074 das erste königliche Freiheitsprivileg, bald darauf folgten Speyer und Mainz. Die drei Städte boten den Kaisern Schutz, Hilfe und Unterstützung und entwickelten sich damit zu Säulen und Zentren der kaiserlichen Macht.
Die enorme Bedeutung der drei Reichsstädte spiegelt sich vor allem in der Errichtung großer, repräsentativer Sakralbauten wider, die von Kaisern und Bischöfen in Auftrag gegeben wurden. Diese Monumente zählen zu den wegweisenden Vertretern neuer Bautypen und Ensembles innerhalb Europas. Teilweise sind sie bis heute erhalten und von zentraler Bedeutung in der Region. Einen wesentlichen Anteil am Aufstieg der bürgerlichen Kommunen haben auch die jüdischen Gemeinden besagter Kaiserstädte. Ihre internationale Vernetzung in Wissenschaft, Bildung und Handel macht sie zum entscheidenden Gradmesser für den Aufstieg der drei Städte am Rhein.
Durch spätere Zerstörungen und Überbauungen sind allerdings viele Denkmäler dieser Zeit verloren gegangen und heute nur noch durch moderne Bauforschung, archäologische Ausgrabungen oder historische Quellen nachzuvollziehen.
Mainz um 800 – Teilsegment mit Saalkirche, Kirchhof und Siedlungselementen im Maßstab 1:1000
Um die Bedeutung der drei Reichsstädte zu bewahren und die Identifikation in der Bevölkerung zu fördern, sollen diese nun in Form von digitalen 3D-Rekonstruktionen in ihren Entwicklungen als bedeutende europäische Städte des Hochmittelalters wiedererstehen, dokumentiert und präsentiert werden. In dieses Projekt fließen daher wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse sowohl der Denkmalpflege und der Landesarchäologie als auch historische Zeugnisse ein. Diese werden in einer quellen-basierten, wenn auch dennoch teilweise aufgrund der Quellenlage und der frühen Zeitstellung hypothetischen 3D-Rekonstruktion umgesetzt. Innerhalb einer virtuellen Forschungsumgebung werden die die zugrundeliegenden Quellen und Informationen digital erschlossen, strukturiert, vernetzt und verdichtet. Die rekonstruierten 3D-Modelle werden mit den Quellen verbetzt, es findet ein interpretativer Rekonstruktionsprozess statt. Die Wissenschaftlichkeit bleibt gewahrt und eine von den erstellten Modellen ausgehende Wissensverdichtung und Kontextualisierung findet statt. Die digitale 3D-Rekonstruktion zusammen mit den innerhalb der Virtuellen Forschungsumgebung semantisch angereicherten 3D-Datensätzen bietet eine nachhaltige und verlässliche Grundlage für vielseitige Anwendungen innerhalb des Projekts und darüber hinaus.
Die auf diese Art erschlossenen und strukturierten digitalen Quellen sowie die 3D-Modelle liefern damit die Ausgangslage für eine web-basierte Ausstellung anlässlich der Landesausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht – von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa“ im Jahr 2020 in Rheinland-Pfalz, bei der die Besucher die jeweiligen Städte in ihrer Entwicklung sowie das hinter den Stadtmodellen liegende Wissen abfragen können. Es wird so möglich sein, die Städte und ihre Einzelbestandteile in ihrer historischen Dimension und im historischen Gelände auch weit über ihre Grenzen hinaus erfahrbar und „per Mausklick“ erlebbar zu machen und damit für jeden und jeder Zeit zugänglich zu sein. Durch Querbezüge und Kontextualisierung stehen sie beispielhaft für die Entwicklung der europäischen Stadt.
Begleitend dazu werden aus den Datensätzen haptische Stadtmodelle, ebenfalls für die Zeitstellungen um 800 und um 1150 erstellt.
Das Projekt wird inhaltlich gemeinsam von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE), der Bassermann-Stiftung an den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim und der Forschungsstelle Geschichte und kulturelles Erbe (FGKE) an der Universität Heidelberg getragen und erarbeitet. Während die FGKE in erster Linie die historischen Zeugnisse und Quellen zu diesen Städten einbringt, fließen von Seiten der Direktionen Landesdenkmalpflege und Landesarchäologie in der GDKE die Erkenntnisse jahrelanger Bauuntersuchungen und Ausgrabungen mit ein, einschließlich der aktuellen Forschungen zu den jüdischen Denkmälern.
Die Erarbeitung innerhalb der virtuellen Forschungsumgebung sowie die Umsetzung der digitalen 3D-Rekonstruktionen und die Dokumentation des Vorgangs erfolgt zusammen mit dem Druck der haptischen Modelle im Maßstab 1:1000 erfolgt am Architekturinstitut der Hochschule Mainz.
Mainz um 800 – das römische Theater wird als Steinbruch verwendet und existiert zu diesem Zeitpunkt nurmehr als Ruine.
Projektpartner
Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE)
Bassermann-Stiftung an den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim
Forschungsstelle Geschichte und kulturelles Erbe (FGKE) an der Universität Heidelberg
Projektförderung
Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz
Laufzeit des Projekts
September 2018 ‑September 2020